Re: Poker im Casino Zürich
Hoi Tomi
Schön, dich nun als aktiven User zu begrüssen. Hier mal meine Kritiken von gestern abend, der Artikel wird dann auch auf PA veröffentlicht
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Das Casino Zürich: missglückte Premiere
Ich muss gestehen, ich wollte etwas schummeln. Anstatt einen rein objektiven Bericht über mein erstes Pokererlebnis im neuen Casino Zürich zu verfassen, wollte ich ihn zu positiv konnotieren. Schliesslich will man ja unterstützen, wenn jemand etwas für Poker in der Schweiz macht – kommerzielle Interessen hin oder her. Aus diesem Grund ist mein vorweggenommenes Fazit umso ernüchternder: Das Casino Zürich war an seinem ersten offiziellen Betriebstag eine Enttäuschung.
Angefangen hats mit dem Eingang. Dass ich 30 Minuten warten musste, um an die Garderobe und von dort zum Eingangspersonal zu gelangen, ist noch ok. Es war schliesslich Eröffnung. Logistisch ist der Eingangsbereich aber sehr ungünstig gelöst. Man fährt mit einer Rolltreppe hinauf. Weil es gleich danach rechts zur Garderobe geht, entwickelt sich bei grosser Menschenmasse aber eine Schlange, die bis zur Rolltreppe zurückgeht. Da diese gemäss Berufsbezeichnung nicht stoppt, fahren heraufkommende Leute unweigerlich in die Wartenden herein, mir ist das geschehen. Aber eben: das war Eröffnungstag, es wird kaum jemals mehr so viele Leute gleichzeitig im Casino Zürich haben – ausser vielleicht dieses Wochenende. Darum verlier ich auch nicht gross Worte bezüglich des Flaschenhals-Prinzips, das auf dem Weg von der Garderobe zum Empfang auf den Besucher wartet, weniger Menschen ergeben weniger Probleme (trotzdem: man hätte erwarten können, dass an diesem Tag mehr Leute als für einen Durchschnitts-Donnerstag kalkuliert im Casino sein werden, mehr Personal an der Garderobe wäre sicher möglich gewesen). Der Eintritt beträgt übrigens zehn Franken, dafür erhielt man einen Getränkegutschein im Wert von sieben (Für Wein, Cüpli und Orangensaft, damit sich die Langstrassenkundschaft auch mal wie ein C-Promi fühlen darf), das wird ab dem 5. November aber nicht mehr so sein.
Aber nun gut, meine positive Grundstimmung behielt ich noch bei, der Einlass hat ja wenig mit dem Hauptgrund meines Besuchs, dem Pokerspiel, zu tun. Und auf dem Weg in den zweiten Stock, wo sich die vier Pokertische befinden, war die Missmut bereits ganz verschwunden, das Dekor ist nämlich sehr gelungen. Nicht Prunk und Protz wie in Vegas sondern Schweizer Bescheidenheit dominieren, Farbspielereien und grosszügige Räume sorgen sofort für ein Wohlfühlerlebnis.
Da soll ich pokern?
Leider hat dieses in dem Moment aufgehört, als ich den Pokerbereich sah. Das lag allerdings am Drumherum: Die Tische sind in der Mitte des Raums, in der Nähe einer Wand platziert und einigermassen gut abgesichert vor neugierigen Zuschauern, ein Bankomat und der Kassenschalter sind auch gleich in der Nähe, soweit, so gut. Doch leider befinden sich gleich neben den Tischen die Automaten, Laufkundschaft im Minutentakt vorprogrammiert. Apropos Takt: Etwa zehn Meter links der Tische steht eine Showbühne. Auf dieser werden – zumindest bis Ende Dezember – immer Donnerstag bis Sonntag die «weltbesten Doppelgänger auftreten». Im Angebot: Joe Cocker, Marilyn Monroe oder Trompetengott Louis Armstrong. Mit diesen will das Casino wohl Partyvolk anlocken, die Leidtragenden sind allerdings die Pokerspieler. Viel zu laut dröhnen die Bässe, was ich noch weggelassen hätte, hätte nicht jeder Künstler nur zwei, maximal drei Lieder gehabt mit denen er ungefähr sechsmal am Abend aufgetreten ist. Dazu wurde ins Mikrofon geschrien, man soll doch mal mitsingen. Volksfest im Casino mag ja ein durchdachtes Konzept sein, dem Schreiber gefällt es allerdings überhaupt nicht. Genauer war die Dauerbeschallung vermutlich sogar der negative Höhepunkt des Abends – und Anlass zu Kritik gab es noch genügend.
Ich bin sicher, dass in einem Monat alles, was ich jetzt schreibe, schon nicht mehr aktuell ist. Denn der Pokerchef hat seine Kompetenz bereits in Basel als Floorman bewiesen und scheut keine Mühen, dass sich seine Kunden wohl fühlen. Trotzdem muss gesagt werden, dass das Pokerangebot in Zürich noch nicht mit Baden oder (früher) Basel mithalten kann. Als ich um 2015 Uhr am Tisch war, nahm ich an, die Spiele laufen schon und meine Vorreservierung ist verfallen, um 20.00 Uhr sollte gestartet werden. Doch dem war nicht so, im Gegenteil: Alle Spieler standen vor den Tischen, sitzen sah man nur die Dealer, die noch ihre Karten auspackten und Chipracks leerten. Das muss besser werden, die erste Hand wurde um 20.30 Uhr gedealt. Das bringt mich auf ein Thema, zu dem ich nicht viel sagen will, beziehungsweise auch hier den Eröffnungs-Bonus geben will: Man merkte den Dealern die Unsicherheit an, für die meisten war es ihr erster beziehungsweise zweiter Arbeitstag. Es gab einige Missdeals und das Spiel ging langsamer voran als gewohnt – ich habe mir die Freiheit genommen, eine nicht-repräsentative Zählung vorzunehmen. 10 handed haben wir 15 Hände in einer Stunde geschafft, 5-7 handed waren es 20 – aber insgesamt war die Dealerleistung ok. Aber eben: Das schreib ich heute mit dem Wissen, dass sie noch viel Potential haben.
Am falschen Ort gespart
Und auch die besten Dealer hätten nicht verhindern können, dass mir der Abend eher wenig Spass gemacht hat. Nebst den Entertainern sorgte dafür der wirklich mangelhafte Service. Egal wer am Tisch bestellte, mindestens zwanzig Minuten dauerte es, bis das gewünschte Getränk da war. Zuerst musste der Dealer den Floorman rufen, der rief den Kellner, der nahm die Bestellung auf und holte das Getränk. Eine praktischere Lösung wäre wünschenswert. Dass wir alle so lange warten mussten, ist übrigens nicht die Schuld des Service-Personals, sondern einzig und alleine der Casino-Verantwortlichen. Es war viel zu wenig Personal anwesend, unmöglich, die Gäste so zu bewirten, wie es das Casino wohl geplant hat. Ich würde behaupten, dass gestern locker doppelt so viel Servicepersonal hätte anwesend sein müssen, um einen angenehmen Kundendienst bieten zu können. Vielleicht bin ich da auch zu kritisch, denn gleich neben den Tischen gibt es eine Bar – ein weiterer Lärmpegel notabene – man hätte auch dort bestellen können. Aber da man auch dort anstehen musste, ging man das Risiko ein, einige Hände zu verpassen. Dafür geh ich nicht pokern
Dass die Essensauswahl spärlich ist, habe ich bereits im letzten Blog geschrieben. Das liegt daran, dass es noch kein Restaurant gibt, nun darf man halt zwischen Sandwich, Curry-Wurst und Flammkuchen wählen. Zumindest die letzten beiden hab ich probiert und für gut befunden, der Preis ist mit je 7.50 auch ok. Der Preis für einen 3dl ICE-Tea ist dagegen hirnrissig. 6 Franken. Nicht, dass mich die Höhe des Preises stört, sondern die Zahl. Als Pokerspieler zahlt man gerne mit Chips, bei 6.- ist das nicht möglich. Zudem fällt so für das Personal auch weniger Trinkgeld ab. Mineralwasser und Bier kosten übrigens 4.50, das wäre auch für andere nicht alkoholische Getränke wünschenswert. Vom Espresso würd ich übrigens abraten: Kostet neun Franken und wird, wie es mein Tischnachbar nannte, "anstatt mit 86 Grad mit 28 Grad serviert".
Poker war – mit Abstrichen - ok
Zum Pokerspiel selber gibt es nicht allzu viel zu sagen, das nicht schon bekannt ist: es gibt vier Tische, wobei einer mit Time-Limit ausgestattet ist, das habe ich aber noch nicht getestet. Dieser Tisch ging erst um 22.30 Uhr auf, obwohl sich die Massen davor tummelten. Eine Erklärung: Auch das Pokerpersonal ist massiv unterbesetzt. Wir hatten vier oder fünf Dealer während acht Stunden, die vier Tische bearbeiten mussten. Eine Schicht dauerte 80-90 Minuten, das ist deutlich länger als in anderen Casinos und sicherlich nicht förderlich für die Konzentration. Die Casinoverantwortlichen müssen hier unbedingt handeln und mehr Dealer einstellen!
Der Tisch auf dem gespielt wird sieht schön aus. Der Filz ist allerdings zu hart, die Karten können fast nicht aufgenommen werden. Da wird aber bereits reagiert und der Belag am Samstag ausgewechselt. Platz hat man auch mit zehn Leuten genug, die Stühle sind bequem.
So zockte man vor sich hin, regte sich über die Gegner auf oder lachte mit ihnen, bis es dann irgendwann so gegen 0200 Uhr ein neues Problem gab: Die Klimaanlage. Ihr habt nicht vergessen: Ich musste zu Beginn 30 Minuten anstehen um die Jacke abzugeben. Nun wollte ich sie zurück. Es war wirklich plötzlich arschkalt, an meinem Tisch haben 90% eine Decke oder ähnliches verlangt. Wenn die Idee dahinter ist, dass bei Kälte die Kunden länger wach bleiben und damit spielen, sollte bedacht werden, dass bei Kälte die Kunden auch einfach nicht mehr kommen wollen.
Gegen 04.00 stand ich vom Tisch auf, es wurden die letzten drei Hände angekündigt. Pokerspieler hatte es übrigens genügend, es gab zweimal 5/5 und zweimal 5/10 – Limits definieren sich nach dem Wunsch der Kunden – und die Tische waren bis ca. 0200 Uhr durchgehend besetzt. Weil aber die Toiletten , die übrigens nicht sauber geputzt wurden (mein Tischnachbar sagte allerdings das Gegenteil, ich hatte wohl einfach Pech) und wo im Herrenklo bei zwei Lavabos bereits der Wasserhahn fehlt (oder eher: nie eingebaut wurde) und der Raucherbereich im unteren Stockwerk sind, wird sehr selten 10-handed gespielt. Ich find das positiv, Raucher oder schwache Blasen sehen es vermutlich anders.
Das waren meine Erfahrungen von gestern. Ich habe entgegen der einleitenden Worte nichts beschönigt, das hatte das Casino nicht verdient. Da es relativ viel Text war, hier noch eine Kurzzusammenfassung:
- Casino sieht gut aus, Pokerarea befindet sich aber im dümmst möglichen Bereich
- Dealer waren nervös, aber das muss am Anfang verziehen werden. Das Pokerangebot an sich war gut.
- Es gibt viel zu wenig Personal, Service dauerte so lange dass wir Sidebets darauf abschlossen und ich hab auch keine Lust, viermal in der Woche (Brag) Curry-Wurst zu essen.
- Insgesamt war mein Casinobesuch enttäuschender als ich ihn mir vom Eröffnungstag versprochen habe. Dass am Anfang vieles nicht funktioniert ist normal – aber dass so wenig klappt doch sehr bedenklich.
Ich hoffe für die Poker- und restliche Glücksspielgemeinde Schweiz, dass die Anfangsprobleme schnell in den Griff gekriegt werden, ansonsten wird die neuste Zürcher Attraktion nicht lange bestehen können.
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