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Über den Sinn von Wettkampfpoker - Druckversion

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Über den Sinn von Wettkampfpoker - talentdino - 08-04-2009 09:24 PM

Nach all dem Gerede hier über Meisterschaften und wasweissich habe ich mir mal ein wenig Gedanken gemacht.

Schon immer habe ich mich gewundert, wie gross wohl die Varianz im Spitzensport ist, z.B. im Fussball. Sämtliche Spitzenteams haben sehr ähnliche Spielerstärken, sehr ähnliche Taktiken und sehr ähnliche Trainingsmethoden. Natürlich denkt jeder, dass "sein" Team das beste ist, aber ich denke, man kann gut sagen, dass sich im Grossen und Ganzen doch einige Teams die Waage halten können. Anders gesagt: "wenns lauft", dann können die Letzten der Super League mit scheinbarer Leichtigkeit gegen die Ersten gewinnen.
Unter diesen Gesichtspunkten scheint die Idee, jedes Team genau zwei Mal pro Jahr gegen ein anderes spielen zu lassen geradezu absurd. Andererseits denke ich, dass diese Varianz durchaus gewollt ist. Im Kommerziellen Spitzensport geht es IMO nicht darum, herauszufinden, wer der Beste ist (ausser den Spielern, aber was haben die schon zu sagen); die allermeisten Fussballfans "wissen" sowieso, dass ihr Team das absolut beste ist. Ein klarer Favorit in jeder Partie und wenn sie das Spiel nicht gewinnen, dann war ganz sicher der Schiri schuld, oder der Publikumsmagnet-Spieler, der - vom Blick ausführlich dokumentiert - mit einer lebensbedrohlichen Knöchelverstauchung leider nicht mitspielen konnte. Es wäre ein Todesstoss für das System, wenn mit Klarheit feststehen würde, welches Team das beste ist, obwohl ich denke, dass etliche Fussballfans dieser Tatsache ignorant bleiben könnten.
Die Varianz ermöglicht es, dass jedes Jahr praktisch jedes Team den Meistertitel realisieren kann und garantiert so jedem Team seine Fans, die sich meistens wegen lokaler Begebenheiten mit einem dieser Teams verbunden fühlen, obwohl rein faktisch gesehen null Unterschied zu anderen Teams besteht. Nur an wenigen Orten wird Ignoranz so gross geschrieben wie im Kommerzsport; mir fällt momentan nur Religion ein, selbst Politiker sind ehrlicher gegenüber sich selbst.
Meiner Meinung nach ist Sport (als Spieler wie auch als Fan) lediglich eine Repräsentation von Krieg, die es den Menschen in einer fortgeschrittenen und grösstenteils pazifistischen Gesellschaft ermöglicht, ihre kompetitiven Triebe zu befriedigen indem sie sich einer Gruppe anschliessen und dann (auch als Fans) gegen die rivalisierenden Gruppen "in die Schlacht ziehen". Dieses Kompetitionsdenken bringt auch das Geld in das System, dessen Überleben und Wachstum schlussendlich davon abhängt. Wenn die Leute nur mal realisieren würden, wie Zerbrechlich dieses System eigentlich ist. Es basiert auf und hängt ab von ihrer Ignoranz und von ihrem sinnlosen Verhalten als Fans von Leuten, die nicht mal wissen, dass sie existieren.
Ja, die Macht der Triebe; und da sag mir doch einer, wir stammen nicht vom Affen ab (zur Klarheit: Wir sind Affen. Und wir teilen einen gemeinsamen Vorfahren mit Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans, der ebenfalls ein Affe war).
Und komm mir keiner mit "Ich schaue Fussball, um mit meinen Freunden Spass zu haben"; Bullshit! Dazu brauchst du Freunde, kein Fussball.

Gerade ist mir aufgefallen, dass dies alleine schon einen soliden Blogeintrag macht Wink So lange wollte ich gar nicht ausschweifen.

Was ich damit sagen will, ist folgendes: Die Varianz im Spitzensport ist huge. Die Varianz in Poker ist um ein Vielfaches huge-er. Was sollen also Meisterschaften, Team-Meisterschaften und solche Dinge? Es wird lediglich ausgemacht, wer an diesem Tag am meisten luck hatte; das ist - anders als beim Sport - jedem Pokerspieler irgendwo im Hinterkopf bewusst. Und nur weil einer an einem Tag gerade eine besonders gute Glückssträhne hatte, darf er sich darum für ein Jahr lang "bester Spieler der Schweiz" nennen, Schweizermeister halt. Ich finde den Gedanken zutiefst absurd.
Ich denke, wenn Poker in Turnierform gespielt wird, dann geht der Grundlegende Sinn der Spiels verloren. In Poker geht es darum, eine Strategie zu entwickeln, die perfekt auf die Begebenheiten zugeschnitten ist. In einem Turnier (live wie online) sitzt man oft mit 9 Unknowns für maximal ein paar Hundert Hände am selben Tisch. Es kommt sehr selten vor, dass man während dieser Zeit einen spezifischen Read formulieren und diesen dann auch noch einsetzen kann. Man muss auf generelle Strategien (gegen Fische, TAGs, etc.) zurückgreifen. Viel weiter geht es nicht, that's it. Logisch, wenn man online multitablet kann man Turniere sicherlich +ev grinden, aber für das einzelne Turnier - insbesondere live - bestimmt essentiell die Varianz den Gewinner und ich sehe wirklich nicht ein, was daran Spass machen sollte. Ich kann auch zu Hause mir und meiner Katze Karten austeilen und schauen, wer gewinnt.
Anders im Cashgamee. Wir spielen Cashgame, weil wir das Spiel lieben. Weil wir die Gedankenkriege lieben. Weil wir sehen und verstehen, wie Leute sich aneinander adjusten und re-adjusten. Leute, mit denen wir tagein, tagaus tausende von Händen spielen und so Reads formulieren können, die in einer Million Turniere nicht möglich wären. Wir spielen Cashgame, weil wir uns nicht zufrieden geben mit generellen Strategien; weil wir es lieben, zu denken und andere Köpfe zu verstehen. Unsere Strategien beziehen sich auf spezifische Spieler mit spezifischen Leaks, nicht auf aggregierte Gebilde von Stereotypen. Wir spielen Cashgame, weil wir auch nach einem Verlust am Table bleiben können, weil wir wissen, dass wir für unsere guten Entscheidungen ultimativ belohnt werden und dass unsere Fehler am Ende immer in Verlust resultieren.
Wir spielen Poker


Re: Über den Sinn von Wettkampfpoker - Earthwormjim - 08-04-2009 09:50 PM

pure philosophy!


Re: Über den Sinn von Wettkampfpoker - CatDonk - 08-04-2009 11:46 PM

Zu meiner Jungfernfahrt ins Cashgame kann ich nur eines sagen: Nice Hand sir! (Achja, ich hasse Fussball auch...)


Re: Über den Sinn von Wettkampfpoker - talentdino - 08-04-2009 11:52 PM

ich gebe zu, ich habe keine katze


Re: Über den Sinn von Wettkampfpoker - I KILL - 08-05-2009 12:39 AM

ziemlich true, vorallem teil eins hab mich mir 1:1 so auch schon überlegt und bin auf die selben schlüsse gekommen.
zum turnierpoker - seh ich generell ziemlich gleich, wobei es sicherlich niemals so extrem ist, da man im turnier halt einfach "billigere"(viel weniger komplexe und komplizierte) strategien anwenden kann/muss aber es halt das - simplifiziert - gleiche ist - eben halt auf einem ganz anderen denk und spielintelligenz erforderlichem niveau.


Re: Über den Sinn von Wettkampfpoker - eglifish - 08-05-2009 01:12 AM

Gratulation, du hast Fussball verstanden Big Grin

Logisch gewinnt das Team, welches über das grösste Budget und die besten Spieler verfügt den Meistertitel. Das ist ja gerade der Grund, warum so viele gegen den FCB sind :lol: Sie MÜSSEN Meister werden, alle anderen DÜRFEN. Der Schweizer an sich ist ja gerne für den Schwächeren, Ärmeren, Kleineren
Obv. welche Mannschaft hier nur verlieren kann...
Mann sieht den Riesen gerne straucheln.

Und trotzdem gehen Menschen ins Stadion und feuern z.B. ihren FC Aarau an. Ihnen ist wohl allen bewusst, dass es wohl nie wieder mal zum Titel reichen wird, und dennoch bezahlen sie Wochenende für Wochenende Geld, um ein Spiel gegen den Abstieg zu sehen. Warum wohl ?

Es ist die Faszination am Fussball.

Eigentlich ist es scheissegal, wer Meister wird, hauptsach "dein" Verein wird es oder "dein" Verein erreicht deine Erwartungen.

Und ob nun 2 oder 4 mal gegeneinander gespielt wird spielt eh keine Rolle, die Varianz bleibt fast gleich. Mann könnte es genauso gut ausjassen. Es kommt praktisch aufs Gleiche raus.
Der Heimvorteil mag gewissse Auswirkungen haben, aber er ist IMHO überbewertet. Was doch zählt sind die mentale Verfassung, die körperliche Fitness, die Form. Und das ist und wird immer eine Momentaufnahme bleiben.

So ist auch die CL oder eine Euro oder WM schlussendlich nur eine Momentaufnahme. Der Sieger ist das Team, dass zuerst einmal am meisten Glück hatte. Sei es bei der Auslosung für das Turnier (schwache Gruppe), beim Schiedsrichter, der hie und da mal ein Foul nicht gesehen hat und dann ein regelwiedriges Tor für die eigene Mannschaft gelten lies, beim Gegner, dem gerade 3 Stammspieler verletzt ausfielen usw. usw. da kommt so enorm viel zusammen dass es schlussendlich fast nicht mehr ums Spielen an sich geht. Und Geld alleine schiesst bekanntlich auch keine Tore.

Habe fertig.


Re: Über den Sinn von Wettkampfpoker - DeusDeorum - 08-05-2009 11:47 AM

Dino
Super Eintrag - das Beste was ich bisher von dir hier gelesen habe! (Was nicht heissen soll, dass der Rest alles Mist war...)
Teile deine Meinung bzgl. Spitzensport nicht ganz: Eben weil Fans völlig realitätsfremd sind, wenn es darum geht, Stärkeverhältnisse und Chancen einzuschätzen, spielt es keine Rolle, wenn jedesmal der Gleiche gewinnt. (Wie du ja eigentlich auch antönst, aber da trotzdem die andere Position vertrittst)
Natürlich gibt es auch im Fussball eine Varianz (Allerdings nicht im Spitzesport generell, sondern nur in den Mannschaftssportarten!), aber die ist sooo klein..Es stimmt eben nicht, dass jedes Team Meister werden kann. Der Modus passt schon so. Es ist ja nicht nur der Fall, dass die besten Teams zweimal gegeneinander spielen, insgesamt werden 36 Runden gespielt - da ist dann nicht mehr viel mit Varianz. Die Varianz fällt, über eine ganze Saison gesehen, wohl ziemlich weg.

Ich würde jetzt nicht so weit gehen und Sport als Krieg bezeichnen. Aber im Grunde hast du schon Recht. Teilweise...Denn IMO geht es beim Sport auch einfach darum, seine freien Stunden zu füllen. Und dafür eignet er sich halt super, weil er Emotionen bietet, die einem das restliche Leben nur selten geben kann. Zudem redest du immer nur von den Fans die in die Stadien gehen. Was ist aber mit all den anderen Leuten, die die Mehrheit der Sportschauer betreffen? Oder die Hobbysportler? Sport setzt halt einfach Glückshormone frei, deswegen ist er so einfach und so gut vermarktbar.

Und btw: Jedes System ist zerbrechlich. Auch das heutige Wirtschaftssystem. Aber dem gehts wohl gleich wie dem Sport: Wenn der Mensch zu tief mit etwas verwurzelt ist, kommt er nicht mehr davon los. Das bedeutet aber nicht, dass diese Systeme schlecht sind; Im Gegenteil...
edit: Katze? Da hilft wohl nur ein Hund Wink

Egli
Eine Frage und eine Bitte: Wieso postest du immer wieder das gleiche? Wir kennen deine Meinung zum Fussball...Kannst du solche Kommentare nicht in anderen Threads belassen? Um auf einen Post wie denjenigen Talentdinos zu antworten, fehlt es dir IMO an "rhetorischer Schaffenskraft"


Re: Über den Sinn von Wettkampfpoker - Cohiba - 08-05-2009 11:58 AM

Brot und Spiele... das ist es was Menschen brauchen und lieben.

Und ohne Varianz hätte Fussball/Poker... genauso viel Öffentlichkeitsinteresse wie Schach (bitte jetzt keine Posts, was für eine coole Sache Schach ist usw). Der Kick ist eben, dass auch FC Aarau mal AC Milan schlagen kann.

Das vermittelt Spannung und Neugierde.

Und das nach einem Turniersieg bzw einer team challenge danach nicht unbedingt der beste siegt ist klar... und wenn dem doch so wäre dann wäre die menschliche Lust auf Spannung und Neugierde perdu.

Zum zweiten Teil...

"Die Varianz ist huge". Ohne Zweifel! Mir (und einigen anderen?) macht es Spass mich dieser Varianz auszusetzen und danach Sprüche zu klopfen oder anzuhören. Spielen macht Spass! Zum Glück muss ich dieses Spiel ja nicht im Kolosseum von Rom als Einmalunterhalter praktizieren. Das ist Fortschritt Big Grin


Re: Über den Sinn von Wettkampfpoker - Nimifluk - 08-05-2009 12:08 PM

Nicht alles was Spass macht, macht auch Sinn und nicht alles was Sinn macht, macht auch Spass ;-)


Re: Über den Sinn von Wettkampfpoker - armi94 - 08-05-2009 01:14 PM

QFt, seeeehr solid post. NH!