So, ich habe nun endlich mal die Zeit gefunden ein bisschen eine längere Antwort zu schreiben.. Ich hab nun mal in meinen Unterlagen und Links gewühlt und bin auf einige lange Texte gestossen. Ich weiss es ist mühsam so lange Texte durchzulesen, aber es würde mich freuen, wenn sich einige auf ne gute Diskussion einlassen würden (Paxi und Armi haben ja sowieso mehr Kenntnisse als ich oder die meisten hier).
Um gleich mal auf Paxis letzten Post einzugehen: wenn der Finanzmarkt und mit ihm die Spekulationen so wären, wie sie in diesem „Leserbrief“ an die Washington Post dargestellt ist, so wäre daran natürlich nichts zu kritisieren. Doch der heutige Finanzmarkt hat sich in einigen Bereichen (natürlich überhaupt nicht in allen) schon seit geraumer Zeit von der Realität verabschiedet. Gewisse Spekulationen gehen über den Bezug zur realen Güterproduktion hinaus und es hat sich ein sogenannter „Meta-Wertpapiermarkt“ entwickelt, welcher abgekoppelt vom Welthandel funktioniert.
Zudem sorgt die Möglichkeit, nicht nur auf der Bank arbeitslose Rendite zu generieren dafür, dass die Umverteilung von den ärmeren zu den reicheren Menschen noch stärker ansteigt. Unter anderem nur schon durch den Zustand, dass viele Leute gar nicht die Möglichkeit besitzen auf diesem Markt teilnehmen zu können. Hier noch ein Paper, dass weitere Kritikpunkte anspricht:
<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.oegpw.at/tagung09/papers/PA3_huffschmid.pdf">http://www.oegpw.at/tagung09/papers/PA3_huffschmid.pdf</a><!-- m -->
„Die hier vertretene These besagt also, dass der wesentliche Hintergrund für die Herausbildung des FMK (Finanzmarktkapitalismus) die konservativen Gegenreformen sind, die Mitte der 1970er Jahre begannen und noch nicht zu Ende sind. Sie haben politisch zu einer massiven Verschiebung der Kräfteverhältnisse zugunsten des Kapitals und ökonomisch zu einer neuen Akkumulationsdynamik geführt, die alte Probleme in neuer Form mit sich bringt.“
Weiter zeigt er in Abbildung 1, dass die Finanzvermögen heutzutage fast das 4fache des Sozialprodukts übertreffen. Der Bezug zur realen Wirtschaft ist also irgendwo verloren gegangen. Und dadurch, dass „die Ansprüche auf Gewinne aber langfristig schneller steigen, als die Wertschöpfung, entsteht eine kritische Lage, die als strukturelle Überakkumulation (Stephan Krüger 2007, 2008) bezeichnet werden kann: Die Verwertung des angehäuften Kapitals wird immer schwieriger.“
„Strukturelle Überakkumulation ist also keine grundsätzlich neue Problematik kapitalistischer Entwicklung. Im Unterschied zu früheren Phasen der Entwicklung schlägt sie sich in den letzten beiden Jahrzehnten aber weniger in der Unterauslastung von tatsächlich bestehenden Produktionskapazitäten nieder, sondern in der Anhäufung von Finanzmitteln, die gar nicht erst in Produktionskapazitäten investiert werden. Das aber schafft neue Konstellationen.“
Mich würde interessieren, was ihr von seiner Umverteilungskritik, seiner „Logik des Kapitals“ und der Analyse des Finanzmarktkapitalismus hält. Was ich von seinen angesprochenen Lösungen halten soll weiss ich nicht (aber die Kritik an der Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen teile ich auf jeden Fall).
Er spricht in seinem Paper auch noch ein bisschen die Hypothekenkrise an. Ich denke anhand von dem Beispiel, kann man die Gefahr, welche vom Spekulationsmarkt ausgeht, ziemlich gut erläutern. Es ist in meinen Augen wichtig zu erkennen, dass wir die Zukunft nicht abschätzen bzw von der Vergangeheit ableiten können. Jedoch war genau das Gegenteil der Fall: so haben zum Beispiel die Menschen blindlings dem andauernden Wirtschaftswachstum vertraut, woraus sich auf dem Finanzmarkt wiederum neue Produkte und Verfahren entwickelt haben, welche meistens sehr kurzfristige Strategien verfolgten. Sogar die ursprünglich langfristigen „fixed-rate loans“ wurden unattraktiv und oft von den „adjustable-rate mortages“ abgelöst.
Es geht den Händlern nur noch darum, genügend Erträge zu erzielen und so viel Bonus zu kriegen wie möglich. Aber niemand kümmerte sich um die längerfristigen Auswirkungen auf die Volkswirtschaft. Und auch die Idee, dass die eigennutzorientierten Handlungen aller Teilnehmer auf dem Subprime-Markt für alle zum Besten resultieren wird, stellte sich als eine Illusion heraus. Unter anderem nur schon auch aus dem Grunde nicht, weil die Rating-Agenturen nicht unabhängig von den Wall Street Unternehmen tätig waren, obwohl dies eigentlich deren Aufgabe sein sollte. Die Unternehmen bezahlten grosse Gebühren um ihre Produkte „richtig“ bewerten zu lassen (Quelle: Cassidy)
Als Laie kann ich allen anderen Laien „How Market Fails“ von John Cassidy empfehlen! Ich bin auch noch nicht ganz durch, aber könnte einige Kapitel zu diesem Thema per Email als pdf-Dateien verschicken, sofern jemand Interesse hat. Es behandelt in einem Kapitel unter anderem die „Effizienmarkthypothese“ sowie Benoit Mandelbrots Kritik an dieser Hypothese (siehe dann auch Nassim Taleb). Und in 3-4 anderen Kapitel behandelt Cassidy noch die Finanzkrise 2007/08; alles auf eine Art und Weise bei welcher man keine grossen Mathematik-Kenntnisse benötigt.
Vielleicht kennen einige von Euch Nassim Taleb (hier ein sehr empfehlenswerter Artikel von Malcom Gladwell: <!-- m --><a class="postlink" href="http://www.gladwell.com/pdf/blowingup.pdf">http://www.gladwell.com/pdf/blowingup.pdf</a><!-- m -->
)? Seine „Schwarze Schwäne Theorie“ (er selber würde den Begriff Theorie ablehnen) ist eine interessante Analyse, wie wir unsere Vergangenheit und vor allem unsere Zukunft falsch einschätzen und wahrnehmen und das Gefühl haben, wir könnten alles statistisch vorhersehen und dementsprechend spekulieren. Der „Schwarze Schwan“ geht auf Karl Poppers Wissenschaftstheorie zurück , welche besagt, dass es keine hundertprozentige Sicherheit gegenüber der Richtigkeit einer Theorie gibt, sondern bloss das Wissen über deren mögliche Falsizfizierbarkeit. Daraus folgt der Schwarze Schwan: “No amount of observations of white swans can allow the inference that all swans are white, but the observation of a single black swan is sufficient to refute that conclusion“.
Im Finanzmarkt wird nach Taleb die Wahrscheinlichkeit dieser „schwarzen Schwäne“ (in diesem Fall: „possibility of some random, unexpected event sweeping the markets“) ausser Acht gelassen. Den Finanzmarkt kann man nach ihm nicht statistisch analysieren, da er längerfristig keiner Normalverteilungskurve folgt. „The economist Eugene Fama once pointed out that if the movement of stock prices followed a normal distribution you’d expect a really big jump—what he speci- fied as a movement five standard deviations from the mean—once every seven thousand years. In fact, jumps of that magnitude happen in the stock market every three or four years, because investors don’t behave with any kind of statistical orderliness. They change their mind. They do stupid things. They copy each other.They panic.“
Talebs Trading-Philosophie beruht demenstprechend darauf, dass er nie Optionen verkauft, sondern diese nur kauft. Er setzt logischerweise auch nie auf eine bestimmte (Markt-)Richtung, dass würde nach ihm ja bedeuten, dass er den Markt verstehen würde, was er aber nicht von sich behauptet.
Um also wieder zur Finanzkrise zurückzukommen. Klar ist jede Blase auf ihre Art und Weise zu unterscheiden, aber alle davon weisen drei gemeinsame Eigenschaften auf (sorry dass ich hier oft auf Englisch zitiere, aber es ist definitiv einfacher und es besteht nicht die Möglichkeit, dass ich die Aussage falsch weitergebe): policymakers beholden to the illusion of stability; financial innovations that make speculationg easier; and New Era thinking typified by overconfidence and disaster myopia (Cassidy). Der erste und letzte Punkt wurde schon ein bisschen angesprochen, der zweite Punkt ist offensichtlich einiges komplexer und benötigt wohl mehr Kenntnisse, aber viel geholfen hat mir in dieser Hinsicht der Text von Brunnermeier (ich weiss das Paper ist ziemlich anstrengend zu lesen für einen Laien, aber für alle die sich dafür interessieren ein Muss
<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.princeton.edu/~markus/research/papers/liquidity_credit_crunch.pdf">http://www.princeton.edu/~markus/resear ... crunch.pdf</a><!-- m -->). Seine Hauptaussage findet man schon auf der zweiten Seite und geht dann vertiefter darauf ein: „Two trends in the banking industry contributed significantly to the lending boom and housing frenzy that laid the foundations for the crisis. First, instead of holding loans on banks’ balance sheets, banks moved to an “originate and distribute” model. Banks repackaged loans and passed them on to various other financial investors, thereby off-loading risk. Second, banks increasingly financed their asset holdings with shorter maturity instruments. This change left banks particularly exposed to a dry-up in funding liquidity“
Nach der Finanzkrise 2007 stellt sich je länger je mehr die Frage was geändert werden muss. Auch hier greife ich lieber auf die Expertenmeinung von Brunnermeier und co zurück, als selber etwas zusammenzulabern (<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.princeton.edu/~markus/research/papers/Geneva11.pdf">http://www.princeton.edu/~markus/resear ... neva11.pdf</a><!-- m -->).
„The crisis has involved a regulatory failure as much as anything else. Our solution is not more regulation per se, though that may well be required in some areas, but better and different regulation. This is not the first banking crisis that the world has seen. It is more likely to be nearer the one hundredth. If crises keep repeating themselves, policy should change. But it also means that policy makers should not superficially over-react to the particular characters and colour of the current crisis. Schadenfreude at bankers' expense is satisfying, but it does not really get us anywhere. The crisis should be a call to remedy fundamental market failures that have either been ignored or
improperly dealt with in our regulation so far. „
„Network and counterparty credit risk problems are more easily overcome if a clearinghouse or another central authority or regulator knows who owes what to whom. Then, multilateral netting agreements, such as the service provided by SwapClear, can stabilize the system. However, the introduction of structured products that are typically traded over the counter has made the web of obligations in the financial system more opaque, consequently increasing systemic risk.“
Aber solange die Banken und co keine Haftung für ihre Handlungen übernehmen müssen und die Bevölkerung im Notfall für sie bezahlen muss, läuft in meinen Augen was falsch. Fehlhandlungen auf dem Finanzmarkt müssen so schnell wie möglich internalisiert und nicht von der öffentlichen Hand übernommen werden. Vielleicht hab ihr ja auch einige Vorschläge?! Tobin-Steuer? Einrichtung einer europäischen Ratingagentur (als Gegensteuer zu den privat wirtschaftenden US-Ratingfirmen)?