Paxinor schrieb:was ist den das reale problem, dass die SVP kreiert? klar die minarettinitative hätte nicht sein müssen, dito ausschaffungsinitative (die imo hat sein müssen, einfach nicht so bescheuert formuliert, sprich gegenvorschlag ftw). Und ja es gibt einiges an rassisten unter ihnen, aber ich versteh nicht so ganz warum die SVP per se verteufelt wird? Ich mein jetzt vom realen impact her. Klar wenn Ulrich Schlüer "Präsident" der Schweiz wäre und Gesetze machen könnte, wäre es kein schönes land.
Aber der reale impact ist ja überhaupt nicht extrem und ich muss zugeben ab und zu ganz positiv. Imo bewegt sich z.B. die reale Ausländerpolitik in die richtung, in die es die Bevölkerung will, und ich finde auch in die richtige Richtung... und die SVP hat ihren teil dazu beigetragen, dass die Linke von ihrem extremen Gutmenschentum weggekommen sind, die imo in eine sehr problematische Ausländerpolitik geführt hat mit vielen Fehlanreizen.
Sicher, nicht alles, was die SVP macht, ist schlecht oder wirkt sich schlecht aus. Man könnte zB argumentieren, dass die SVP die Politik interessanter für den einfachen Bürger macht und die SVP damit verhindert, dass Politik nur noch von den oberen Zehntausend diskutiert wird. Und auch nicht alle inhaltlichen Inputs der SVP sind schlecht.
Der Schaden, den die SVP anrichtet und bereits angerichtet hat, resultiert aus ihrer besonders unsachlichen und populistischen Art zu politisieren. In den letzten Jahren konnten wir beobachten, wie die SVP dank ihrer provokativen Art ihren Stimmenanteil mehr und mehr ausbauen konnte. Besonders die Mitteparteien gerieten unter starken Druck. Sie standen vor dem Dilemma, dass sie als Mitteparteien nicht so einfache und einseitige Parolen vertreten konnten wie die SVP. Die CVP und FDP müssen sich einerseits stilistisch und inhaltlich klar von der SVP abgrenzen, andererseits können sie nicht einfach die entgegengesetzte Meinung der SVP vertreten, weil das macht ja schon die SP. Das Resultat ist eine zunehmende politische Polarisierung der Parteienlandschaft über die letzten Jahre. Das erschwert die Regierungsarbeit ungemein.
Ein weiteres Problem des SVP-Populismus ist dieses rechtsalternative Paralleluniversum, das sie in den Köpfen vieler Bürger perpetuiert. Wie bereits beschrieben, sind viele SVP-Wähler überhaupt nicht an einem Dialog interessiert und sehen ihre Geisteshaltung in der Tatsache bestätigt, dass ein beträchtlicher Teil der Bürger so tickt. Die SVP hegt und pflegt diese Geisteshaltung, diesen Lebensstil. Parteiblätter wie die Weltwoche publizieren stets zuverlässig das Gegenteil des aktuellen Mainstream-Konsens. Es ist total vorhersehbar und gehört zum Programm. Das hat allerdings unweigerlich zur Folge, dass die vertretenen Aussagen zum Grossteil falsch sind. Diejenigen, die der SVP & Co leichtfertig Glauben schenken, "verdummen", weil sie sich vom gesellschaftlichen, politischen und wissenschaftlichen Konsens immer weiter entfernen.
Und wie gesagt, das SVP-Getrolle ist ein Spiel mit dem Feuer. Es kann einfach mal ganz böse schiefgehen. Die Verwahrungsinitiative war bereits ein Schuss vor den Bug (Die Initiative wurde zwar nicht von der SVP initiiert, aber sehr stark von ihr unterstützt). Ein extrem populäres Anliegen, aber ein klarer Verstoss gegen die Menschenrechte. Afaik sind die Zuständigen immernoch am werweisen, wie die Verwahrungsinitiative praktisch umgesetzt werden soll, ohne dabei Grundrechte zu verletzen. Die Verwahrungsinitiative betrifft kaum jemanden von uns - weder als Täter noch als Opfer -, deshalb sage ich, dass es bloss ein Schuss vor den Bug war. Bei der nächsten Abstimmung sind die Folgen möglicherweise gravierender.
armi94 schrieb:Deine Hypothese mag zutreffen aber es ist fast unmöglich sie zu testen. Es ist nur schon theoretisch schwierig sich ein passendes Instrument zu überlegen damit die Ausgaben einer Partei exogen variieren und selbst dann ist die Reaktion der Gegenpartei von der exogenen Variation in den Ausgaben der anderen abhängig. Ganz zu schweigen davon, dass du nie in das Gebiet rein kommst welches man bräuchte um deine Hypothese zu testen. Im Optimum werden ja beide Parteien soviel investieren bis der Grenznutzen kleiner ist als die Grenzkosten. Unter Standardannahmen (also zuerst zunehmende marginale Stimmengewinne und dann abnehmende) trifft deine Hypothese zu dass Geld eine Rolle spielt, aber du weisst nicht wo der „Wendepunkt“ ist, du weisst nur dass sich die Parteien üblicherweise irgendwo rechts von diesem befinden. Das einzige was man von einem theoretischen Standpunkt aus sagen kann ist, dass Geld irgendwie einen Einfluss haben wird und dass es sich lohnt, aber wir werden wohl kaum je messen können wie gross der ist, wir beobachten nur die Gleichgewichte und dort hat Geld fast keinen Einfluss mehr. Zudem; Grenznutzen ist nicht nur gleich Anzahl der Stimmen, der Nutzen von Parteien resp. deren Spendern hängt wohl noch von anderen Faktoren ab.
Das stimmt natürlich.
armi94 schrieb:Für das Agendasetting ist Geld wohl von Vorteil, allerdings sind schon etliche Initiativen mit bescheidenen Mitteln gestartet worden, kann mir daher nicht vorstellen dass wir uns in einem Bereich befinden wo die Mittelunterschiede von Parteien relevant sind.
Kommt drauf an, was man mit dem Agendasetting erreichen will. Will man mit einer Initiative eine Sache durchsetzen oder will man sich selber ins Rampenlicht rücken? Trifft ersteres zu, dann braucht man nicht unbedingt viel Geld. Im letzteren Fall muss man hingegen viel Wahlkampf betreiben, damit die Wähler die Initiative mit dem Initianten in Verbindung bringen. Die SVP will ja nicht bloss Gesetze ändern, sondern sie will auch, dass alle Wähler wissen, dass es die SVP war, die die Gesetze geändert hat.
Initiativen sind ausserdem nicht die einzigen Werkzeuge fürs Agendasetting.
armi94 schrieb:Das Problem ist, dass Politiker relativ grossen Spielraum haben nach einer Wahl. Und daher können sie potentiell vom Wählerwillen abweichen. Das ist aber nicht im Sinne des Wählers, er wird die Stimme demjenigen geben, bei dem er davon ausgeht dass er seine Präferenzen am unverzerrtesten in den politischen Prozess einbringt. Wenn der Politiker jetzt möglich viele Stimmen gewinnen will, dann kann er sich mittels Ideologie selbst in seinem Handlungsraum einschränken und wird dadurch von gewissen Wählern eher gewählt. Dieses Signal ist umso stärker, je weniger Vertrauen Wähler in Politiker haben und je grösser deren Spielraum ist (was voneinander abhängt). Also könnte man durch einschränken des Handlungsspielraums durch Institutionen (mehr Wettbewerb zb) erreichen, dass das Signal Ideologie nicht mehr soviel Wert hat und daher die Politiker und die Wähler Kompetenz im Wahlkampf stärker gewichten.
Ok, jetzt habe ich's verstanden. Wirklich interessante Theorie, kannte ich noch gar nicht. Ist das ein Konsens aus der Politökonomie?
armi94 schrieb:Menschenrechte und Grundrechte in der Verfassung sind evtl. näher am Atomkraftwerk. Der Verfassungstext ist es imo nicht. Das sind meistens Grundsatzentscheidungen und die Informationen darüber sind weit in der Bevölkerung verteilt. Ich bin der Überzeugung und das wird durch einen Grossteil der mir bekannten Literatur unterstützt, dass Menschen sehr gut darin sind im Kollektiv Probleme zu lösen unter gewissen Bedingungen. Auch wenn diese unglaublich komplex sind (siehe Finanzmärkte und ja; klar gibts dort Verbesserungsmöglichkeiten aber fast keiner schlägt ihn systematisch). Ich bin zudem der Meinung dass Politiker weniger objektiv und viel stärker aus dem Bauch handeln als das Volk und zudem weniger Informationen haben. Die Begründung dahinter ist das viele Informationen weit verteilt sind und die Informationsaggregation nicht systematisch geschlagen werden kann (durch Politiker) und zudem dass es ja fast per Definition schwieriger ist objektiver zu handeln als die gesamte Stimmbevölkerung in einem Land (zugegeben, trifft beschränkt zu). Ich glaube zudem auch nicht dass Bürger kürzere Horizonte haben als Politiker, eher das Gegenteil, vor allem wenn diese ihre Amzeitbeschränkung erreichen. Und wie bereits mehrfach betont, Politiker verfolgen oft andere Ziele als die, die ihre Auftraggeber wünschen. Bezüglich Denkzettelabstimmung; diese erlebt man wohl viel eher in einem Parlament als von der Bevölkerung.
Kann schon sein, dass grosse Gruppen sehr oft sehr gute Entscheidungen treffen - trotzdem bleibt das Problem der starken Ausschläge. Beispiel Atomkraft. Ein Ereignis wie Fukushima kann einen wahnsinnigen Impact auf eine Abstimmung haben, wenn die Abstimmung zufällig kurz nach dem Ereignis stattfindet. Natürlich sind auch Politiker nicht immun gegen diesen Impact, aber überstürzte Erlasse können auch schnell wieder rückgängig gemacht werden. Abstimmungsergebnisse hingegen sind fix und verbindlich.
Ich will nicht, dass hier der Eindruck entsteht, dass ich gegen Volksabstimmungen wäre oder so. Ich geben nur einige Risiken zu bedenken, die durch Populismus und Faktenuntreue noch verstärkt werden.
Bezüglich Informiertheit von Volk vs Politiker. Ich gehe schon davon aus, dass Politiker i.d.R. mehr von ihrem Fachgebiet verstehen, als das aggregierte Volk. Das hängt aber obv. sehr stark von der Person des Politikers ab.
armi94 schrieb:Bezüglich Staatsverträge vors Volk: Weiss ich nicht in welche Kategorie diese Abstimmungen fallen würde, aber per se sehe ich wenig Grund wieso Politiker bei grundlegende Staatsverträgen diese Entscheidungen besser fällen könnten (vll weniger bei einem Freihandelsabkommen mit Indien).
Vielleicht könnte das Volk tatsächlich besser entscheiden. Die Frage ist allerdings, ob es über die Sache selber oder über irgendein emotionalen Platzhalter abstimmen würde. Und je populistischer der Wahlkampf, desto grösser ist das Risiko, dass das Volk unsachlich abstimmt.
Edit: Holy shit, so viele neue Beiträge, ich muss morgen weitermachen! Gut N8 :-)