Zuviel Zufall - ich steige aus
Poker ist zwar kein reines Glücksspiel. Aber es ist doch vieeeeel mehr Glücksspiel, als die meisten Leute denken. Zuviel Zufall für meinen Geschmack. Nach eineinhalb Jahren habe ich meine "Pokerkarriere" beendet.
Für alle von Euch, die voll in der Pokermühle drin sind und davon träumen mit diesem Spiel einmal ordentlich Geld zu machen, folgen ein paar Überlegungen und kritische Fragen, die mich zu meinem Entschluss gebracht haben und vielleicht auch Euch zum Nachdenken anregen.
Doch zuerst kurz zu meiner "Karriere": Wie wohl viele übte Poker schon als Kind einen gewissen Reiz auf mich aus, bei mir war's vor allem der Texas-Macho-Charme des Spiels. Als ich vor gut 3 Jahren mal Andy Bellin's "Poker Nation" gelesen habe, war ich sofort fasziniert: Poker war kein reines Glücks- und Bluffspiel, sondern hatte was mit Können zu tun.
Sofort machte ich mich hinter die Bücher: Harrington, Sklansky, die üblichen Verdächtigen. Da ich mich mit Wahrscheinlichkeitstheorie einigermassen auskenne, waren Konzepte wie Pot Odds oder Implied Pot Odds leicht zu verstehen.
Also Theorie gelesen und rein in die Praxis, primär Online. Dort wechselten sich Phasen des Hochgefühls ("Die Theorie funktioniert") mit Phasen der Ernüchterung ab. Hunderte von Stunden vergingen... die wenigsten davon waren rückblickend wirklich spassig. Nach 1.5 Jahren ist mein Account leicht im plus, steht aber in keinem Verhältnis zum "Stundenlohn".
Doch das finanzielle ist nicht das Problem: Ich wäre bereit, einiges an Zeit und Geld zu investieren, um Poker zu meistern. Doch dort liegt genau das Problem: Poker ist viel zu sehr Glücksspiel, als dass es sich gross meistern liesse. Entsprechend kann man davon auch nicht leben - mit Glück reich werden ja, aber keinen regelmässigen Lebensunterhalt bestreiten. Die Fakten sind da ziemlich eindeutig, auch wenn dies viele hier und überall sonst auf der Welt auf dem Weg zum Pokerpro nicht wahrhaben wollen. Dazu später noch mehr.
Zuerst ein paar Gedanken zur Zufälligkeit des Spiels:
-Nach allem, was sich so lesen und finden konnte, macht ein Winning Playerca. 1 BB pro 100 Hände. Die Standardabweichung von diesem mittleren Erwartungswert beträgt rund 15 BB (Die Diskussion darüber, dass die Gewinne nicht normalverteilt ist, lassen wir mal aussen vor). Das bedeutet, dass selbst ein Winning Player, der 2 Tables a 50 Händen die Stunde gleichzeitig spielt, im Schnitt 1 BB pro Stunde heimträgt. In zwei Dritteln aller gespielten Stunden schwankt sein tatsächlicher Ertrag jedoch zwischen -14 und +15 BB, also zum Beispiel -140$ und +150$ wenn er 5-10$ Limit spielt. In einem Drittel der Fälle wird er jedoch mehr als 140$ verlieren oder 160$ gewinnen. Rund jede 25. Stunde wird sein Ertrag sogar geringer als -440$ oder höher als 460$ ausfallen! Sprich, die Varianz ist riesig.
-Dies bedeutet, wie hier Paxinor oft zu recht propagiert, dass man eigentlich erst nach 30'000 Händen, eher aber 100'000 Händen überhaupt mit einiger Sicherheit feststellen kann, ob man überhaupt ein Winning Player ist und wie gross der mittlere Erwartungswert wirklich ist. 100'000 Hände würde mit obiger Spielrate rund 1000 Pokerstunden voraussetzen - oder 25 Arbeitswochen, sprich ein halbes Jahr Fulltime. Vielleicht ein viertel Jahr, wenn man 4 Tables spielt...
-Dies bedeutet, dass selbst wenn man Poker praktisch Fulltime spielt oder seine Freizeit nur noch für dieses Spiel opfert, erst nach einem Jahr weiss, ob man was kann, ob man ein neues Limit schlägt oder ob eine neue Spielstrategie eine Verbesserung des Erwartungswerts bringt.
-Schon allein damit ist das Spiel für mich gestorben: Ein Jahr oder ein halbes Jahr Echtzeit spielen, nur bis ich überhaupt zuverlässig weiss, was ich kann und ob etwas neues funktioniert, ist vieeeel zu lange für mich. Ich möchte mehr Feedback.
-Bei allen wirklich kompetitiven "Spielen" (Schach, Bridge etc.) bekommt man viel schnelleres Feedback.
-Weil der Zufall eine so gewaltige Rolle spielt, gehe ich deshalb so weit zu behaupten, dass Poker kein wirklich kompetitives Spiel ist, sondern im Kern ein Glücksspiel bleibt.
-Dies sieht man nicht zuletzt daran, dass es kaum Pokerpros gibt, welche die Szene und Turniere dominieren. In praktisch jedem anderen Game gibt es eine ziemlich zuverlässige Hierarchie. Ob einer die WSOP oder sonst was gewinnt, sind mehr Zufallstreffer.
-Überhaupt, Pokerpros... Ich empfehle jedem wärmstens das Buch "The Poker Face of Wall Street" von Aaron Brown, wo es vor allem über die reale Ökonomie des Poker geht - und nicht um die vom Fernsehen angeheizten Fantasien.
-Wieso sind so viele bekannte Pokerpros dauernd Pleite? Wieso laufen viele wie vollgekleisterte Werbesäulen rum? Wieso müssen sie sich für Events und Fernsehauftritte bezahlen lassen? Könnte es etwa sein, dass viele von ihnen mit Poker auf Dauer gar nicht richtig Geld verdienen?
-Und kommt mir jetzt nicht mit all den Beispielen von Leuten, die durch Poker Millionen verdient haben. Die gibt es durch die grosse Zahl der Spielenden automatisch, wie beim Lotto. Täglich fangen sicher 10'000 neunmalkluge Kidz mit dem Pokern an, gut 3.5 Mio. Einsteiger im Jahr. Allein durch Zufall wird ein Dutzend davon in 1-2 Jahren Millionen verdienen und damit für Furore sorgen. Das ist ein schlichter Survivor-Bias.
-Die traurige Wahrheit ist: Auf Dauer verdient praktisch niemand mit pokern allein wirklich Geld. Schon auf gar keinen Fall, wenn er seine Gewinne auch noch zu 35% oder mehr versteuern würde, was bei grossen Turnieren und Cashgames praktisch unumgänglich ist.
-Die bekannten Pros machen ihr Geld nur dank Sponsoring von TV und Casinos: Wer sämtliche Buy-ins für ein Jahr gesponsert bekommt, räumt sicher mal bei einem Turnier ab und macht dann vorwärts. Das ist quasi wie Gratis-Lotterielose. Wer 10'000 Lottoscheine im Jahr geschenkt bekommt, kann auch von Lotto leben... Wenn man mir 50 Turniere mit 10'000$ Buy-in sponsern würde, würde ich wohl allein durch Zufall auch mal absahnen und hätte dann ein schönes "Jahreseinkommen". Einkommensrelevant ist also vor allem Star-Tauglichkeit, nicht Spielkönnen.
-Und was ist mit all den Spielern, die von den vielen Fischen im Internet gut leben? Zuerst wäre auch hier zu prüfen, wieviele davon wirklich die entsprechende Anzahl Hände, sprich meistens Jahre, gespielt haben, um den Zufall ausschliessen zu können. Ich bezweifle, dass es viele sind - und wenn sie Steuern zahlen würden, wohl fast keine. Theoretisch mag es wohl möglich sein, als begnadeter Spieler an einem Tisch voller Fische auf Dauer eine gute Winning rate zu erreichen. Doch wieso sollte ein solcher Tisch, ob Online oder Live, auf Dauer bestehen? Wo gibt es Tische, die voller Fische sind, die weder aus ihrem schlechten Spiel was lernen, noch wegen ihren enormen Verlusten irgendwann aussteigen? Und wieso sollte ein solcher Tisch nicht bald andere Haie anziehen, welche die Winning Rate rasch ruinieren?
So, das reicht für's erste. Hoffe, das gibt einiges zu denken und diskutieren. Stelle mich hier gerne jeglicher sachlicher Kritik. Die meisten werden sicher auch weitermachen wie bisher. Das ist ja ok. Solange Poker wirklich Spass macht. Ich für mich hab einfach gemerkt, dass mir das Game an sich, vor allem Online, zu wenig Spass macht bzw. sich wie Arbeit anfühlt - und dafür ist der Lohn viel zu mies bzw. die Aussicht mal ordentlich entlöhnt zu werden. Ich werde wahrscheinlich hin und wieder mal mit Kollegen nur so zum Spass pokern - Poker als kompetitives Spiel oder Einkommensquelle ist für mich aber definitv gestorben.
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